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Ferdinand Damian Raab (1821-1877)
Ansicht von Wetzlar

Das Original dieses Gemäldes befindet sich im
Wetzlarer Stadtmuseum

Wetzlar leuchtet

Das erste Gaswerk an der Silhöfer Chaussee

Am historischen Standort des Gaswerkes, heute Ernst-Leitz-Straße 43a, wurde durch private Initiative eine Reproduktion des Gemäldes im Format 243 x 110 cm (das Original in Öl auf Leinwand hat das Format 107 x 51 cm) und eine Texttafel mit den nachfolgenden Informationen installiert, um die Erinnerung an diese technische Errungenschaft aus der Frühzeit der Industrialisierung mittels fossiler Brennstoffe zu erhalten. In gewisser Weise eine Mahnung, die fossile Verbrennung und deren verheerende Wirkung auf unsere klimatischen Lebensgrundlagen schleunigst zu beenden.

  • Text:

    Herta Virnich, erschienen in der "Seniorenpost Wetzlar" #203, 2018-03/04

  • Idee:

    Siegfried Bogdanski

  • Realisation:

    Jutta Königsfeld  |  www.jukoe.de

Bis ins 19. Jahrhundert hinein war unsere Stadt noch von Mauern und Türmen geschützt. Bei Anbruch der Dunkelheit wurden die Stadttore geschlossen; dann ruhte auch die Arbeit. Brauchte man in Haus und Stall noch Licht, so nutzte man Öllampen oder Kerzen. Wer noch einen Gang durch die dunklen Gassen vorhatte, musste sich mit einer Handlaterne behelfen. Ein mit einer Kerze bestücktes Exemplar aus jener Zeit findet sich noch in der Küche des Lottehauses.

Eine öffentliche Straßenbeleuchtung aber gab es in Wetzlar nicht. Wenn der Mond nicht schien, herrschte nachts Finsternis in Gassen und Gässchen. Der Minister Graf von Rohde schenkte 1824 der Stadt 500 Gulden für eine neue Turmuhr unter der Bedingung, dass die Bürger die gleiche Summe für die Einrichtung einer Straßenbeleuchtung aufbrächten. In seinem Aufruf vom 24. Februar 1824 schrieb Landrat Sparre: "Nur zu bekannt und fühlbar ist das Bedürfnis nach einer nächtlichen Erleuchtung unserer Stadt. Kleinere Städte, ja Flecken, beschämen unser Wetzlar, dessen bergige Lage und schlechtes Pflaster noch mehr die Erleuchtung erheischen." Der Aufruf hatte Erfolg, die Sammlung erbrachte 573 Gulden. Davon wurden 18 mit Öl betriebene Straßenlaternen angeschafft und zunächst auch betrieben. Als das Kapital aufgebraucht war, führte der Magistrat eine Hundesteuer ein, die der Finanzierung der Straßenbeleuchtung diente.

Die erste Laterne hing wohl an der Ecke, wo die Schmiedgasse in die Lottestraße einmündet und wo heute noch das Haus "Zur goldenen Sonne" steht. Gegenüber befanden sich die Häuser "Zum Mond" und "Stern".

Da reimten die Wetzlarer bald:

Zwischen Sonne, Mond und Stern
Hängt die Wetzlarer Stadtladern.

Wer isses, der sie unnerhält?
Es is der Hund, der drunner bellt.

Hauszeichen "Zur goldenen Sonne"

Zu dieser Zeit war die Lahn bei günstigem Wasserstand die Zufuhrstraße für Massengüter, aber erst die Eisenbahn schuf 1859 die Verbindung zur Ruhrkohle. Damit wurde es auch für Wetzlar möglich, vor Ort Gas zu erzeugen. Um 1860 beschloss der Magistrat, die Stadt mit eigenem Leuchtgas zu versorgen, denn die bisher benutzten Lichtquellen waren ziemlich unergiebig. Sie lieferten nur wenig Helligkeit und mussten nachgefüllt und beaufsichtigt werden. Außerdem waren sie so teuer, dass der Großteil der Bevölkerung äußerst sparsam mit ihnen umgehen musste.

Am 7. Januar 1861 beschäftigte sich der Magistrat mit dem Angebot des Ingenieurs Mayer aus Köln, der anbot, auf seine Kosten ein Gaswerk zu bauen und zu betreiben. Bereits im April 1861 fassten Magistrat und Stadtverordnete den Beschluss, eine Leuchtgasanstalt zu errichten. Das wurde im Wetzlarer Kreis- und Anzeigeblatt veröffentlicht und gleichzeitig eine Liste aufgelegt, in der die Hausbesitzer ihren Bedarf an Gasflammen eintragen sollten. Als Baugrundstück wurde der Garten des Stadtverordneten Raab an der Silhöfer Chaussee (heute Ernst-Leitz-Straße 43 und 43a) erworben.

Die Stadtverordneten beschlossen, die Gasanstalt von Ingenieur Mayer bauen zu lassen, jedoch auf Rechnung der Stadt, die sie auch betreiben sollte. 24.000 Taler wurden bewilligt und ein Bauausschuss berufen, dem die Stadtverordneten Grell, Hinckel, Hoch, Kraft, Vorwerk und Waldschmidt angehörten. Rendant (Stadtkämmerer) Kramer führte die Rechnung und verwaltete das Werk bis 1887. Es gab Einsprüche gegen die Bauabsichten an der Silhöfer Chaussee. Aus heutiger Sicht ist die Wahl des Bauplatzes schwer zu verstehen, lag er doch weit entfernt vom Bahnhof, wo die Kohle ankam und der Koks abtransportiert werden konnte, soweit dieser nicht von der jungen einheimischen Industrie verbraucht wurde. Bei solchen Überlegungen ist zu bedenken, dass sowohl der Bahnhof wie auch das Industriegelände nicht in Wetzlar, sondern im Nachbarort Niedergirmes lagen. So stand der Stadt für das Gaswerk kein anderes Grundstück zur Verfügung als dieser Garten an der Silhöfer Chaussee, von dem aus es einer langen Rohrleitung bis zu den Verbrauchern in der Stadt bedurfte.

Wetzlar 1863. Im Vordergrund die entstehende Gasanstalt

Das Gaswerk wurde errichtet und nahm wohl 1864 seinen Betrieb auf. Die Kohle wurde mit Pferdefuhrwerken vom Bahnhof heran gebracht.

Anwohner berichteten, dass die Pferde schwere Arbeit leisten mussten und oft heftig geschlagen wurden, wenn sie die kleine Steigung von der Silhöfer Chaussee zum Werk zu überwinden hatten.

Die Gasanstalt erzeugte ein mit leuchtender Flamme brennendes Gasgemisch, das gemäß seinem Verwendungszweck als "Leuchtgas" bezeichnet wurde. Dieses Leuchtgas, das vor allem aus Wasserstoff, Methan und Kohlenmonoxid bestand, wurde durch Erhitzen von Steinkohle unter Luftabschluss gewonnen. Durch die Entgasung verwandelte sich die Steinkohle in Koks, der für Heizzwecke weiter verwendet wurde.  Das so erzeugte Gasgemisch wurde dann, nachdem es von Teer, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und anderen unerwünschten Beimengungen gereinigt worden war, in einen großen Behälter geleitet. Im unteren Teil bestand dieser Behälter aus einer gemauerten runden Wanne, die mit Wasser gefüllt war, im oberen Teil aus einer blechernen Glocke, die das erzeugte Gas aufnahm und je nach Füllstand mehr oder weniger tief in das Wasser eintauchte.

Wenn mehr Gas verbraucht als erzeugt wurde, senkte sich der obere Teil des Behälters tiefer in das Wasser. Wenn die Erzeugung größer war als der Verbrauch, hob er sich und nahm das überschüssige Gas auf. Die stählerne Glocke, die auf Rollen an einem Gerüst entlanglief, lastete so immer auf dem Gas und drückte es mit ihrem Gewicht in die Verbrauchsleitungen. Solche Gasometer, die gleichzeitig der Speicherung wie der Druckerzeugung dienten, gehörten mehr als hundert Jahre lang zum Ortsbild von Städten mit eigener Gasversorgung. Auf dem Ausschnitt des Gemäldes von Ferdinand Raab ist der Gaskessel deutlich zu sehen. Später wurde noch ein zweiter Kessel ein Stück weiter hangaufwärts errichtet.

Ferdinand Damian Raab (1821-1877)
Ansicht von Wetzlar

Bildausschnitt mit ungefähren Grundstücksgrenzen der heutigen Ernst-Leitz-Straße 43 / 43a

Im ersten Jahr wurden täglich etwa 600 cbm Leuchtgas erzeugt. Damit wurden 70 Straßenlaternen betrieben und eine kleine Zahl von privaten Abnehmern versorgt. Im November 1864 kam es zu einer Explosion im Gaswerk, dennoch stieg die Produktion weiter an, was auch eine Preissenkung zur Folge hatte.

1867 kosteten 1.000 Kubikmeter drei Taler; 1870 waren dafür nur noch zwei Taler und zehn Silbergroschen zu zahlen.

Rohrnetzplan. Ganz links die "Gasanstalt" mit den beiden Gaskesseln

Als der Gasherd erfunden war, entschloss man sich bei der Stadt, einen Musterherd zu kaufen, um ihn in Wetzlar bekannt zu machen. Auch im "Wetzlarer Anzeiger" wurde für Gaslicht und Gasherde geworben.

Wetzlarer Zeitung 1895

Aus dem Jahresbericht der städtischen Gasanstalt für das Jahr 1889/90 geht hervor, dass die öffentliche Beleuchtung aus 110 Abendflammen bestand, die durchschnittlich "20 Tage im Monat vom Dunkelwerden bis 11 Uhr abends brannten. Dazu kamen 30 Richtlaternen, die durchschnittlich 30 Tage im Monat vom Abend bis gegen Morgen brennen. Die Richtlaternen wurden auch angezündet, wenn Mondschein im Kalender stand, was früher nicht so ausreichend geschah."

Zu diesen 140 Laternen kamen noch "die fünf Laternen der Gemeinde Niedergirmes an der Bahnhofstraße, wofür jährlich incl. Anzündelohn ca. 200 Mark bezahlt werden." Die Beleuchtung von Rathaus und Post wurden gesondert abgerechnet. Jede dieser Laternen wurde von Hand angezündet und gelöscht. Der Verbrauch der privaten Haushalte wurde durch bei der Stadt gemietete Gasuhren gemessen. Es wurden 1609 private Flammen gezählt. Nicht alle Wetzlarer Haushalte bezogen Leuchtgas, aber einige Haushalte verfügten auch über mehrere Gaslaternen.

Die Jahresproduktion belief sich im Geschäftsjahr 1889/1890 auf 197.624 cbm Leuchtgas. Inzwischen hatte Carl von Auer den Gasglühstrumpf erfunden, durch den die Leuchtkraft der Gasflamme beträchtlich erhöht wurde und der Gasverbrauch gesenkt werden konnte. Trotzdem stieg der Verbrauch weiter an; im Jahr 1902 auf 388.700 cbm. Für diese Menge war das Gaswerk zu klein. Es standen nur 950 cbm Behälterraum zur Verfügung, und auch die Erzeugungsanlagen konnten den hohen Bedarf nicht mehr decken.

Durch Drosselung der Straßenbeleuchtung versuchte man, die Behälter unter Druck zu halten und nachts einen Vorrat zu schaffen. Bei Mondschein wurden keine Laternen mehr angezündet. Doch trotz aller Mühe waren morgens die Behälter leer.

Ein Teil der Belegschaft vor dem Gaswerk. Links der Gaskessel (um 1890)

1903 war Niedergirmes eingemeindet worden. Nun kaufte die Stadt die ehemalige chemische Fabrik aus dem Besitz der Firma Jung & Co. an der Hermannsteiner Straße und begann hier 1906 mit dem Bau eines neuen Gaswerks. Die Lage war verkehrstechnisch günstig, zudem konnten bereits vorhandene Gebäudeteile genutzt werden. Die Grundstücke und nicht abgebrochenen Gebäude des alten Werkes gingen 1909 in Privatbesitz über. Die Gebäude wurden gewerblich und zu Wohnzwecken genutzt, die Gaskessel abgetragen. Die gemauerte Wanne des einen Gaskessels wurde mit dem Wasser des höher am Hang entspringenden Stockborns gefüllt und vom neuen Besitzer als Schwimmteich genutzt. Nachbarn berichteten, er habe täglich einen Kopfsprung in seinen Teich gemacht und fügten leicht schaudernd hinzu: "sogar im kalten Winter!"

Später wurde der Teich von neuen Besitzern verfüllt. Der herausragende Mauerrand bildete nun das Rondell in einer Gartenanlage. Als Kinder balancierten wir gern auf diesem Mäuerchen, was natürlich verboten war. In diesen Jahren – es waren die späten Dreißiger – entstand am Ort des zweiten Gaskessels eine Tankstelle, bestehend aus einer einzelnen blauweißen BV-Aral-Zapfsäule. An dieser Säule befand sich ein Messing-Klingelknopf, den musste drücken, wer tanken wollte. Nach einer Weile kam die Besitzerin aus dem nahe gelegenen Wohnhaus, entsperrte den Tankschlauch und pumpte mit Muskelkraft das Benzin in das wartende Auto.

Viel später fanden sich dort eine moderne Tankstelle, auch ein Gebrauchtwagenhandel und ein allseits beliebter Imbiss. Seit 2017 gibt es eine Wohnanlage mit dazu gehörenden Parkplätzen - hier auf dem Gelände der ersten "Wetzlarer Gasanstalt".

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